Festrede zum 100-jährigen Bestehen im Jahr 1952
Die Stadt Hannover kann in diesem Jahr das hundertste Jahresjubiläum dreier wichtiger Ereignisse der Stadt- und der Kulturgeschichte feiern. Vor kurzem war es die Gründung des Opernhauses 1852. In dasselbe Jahr fällt die Bildung des Komitees für die Kapitalbeschaffung und der Grunderwerb für das dem Opernhaus benachbarte Provinzial- und spätere Landes-Museum, das jetzige Künstlerhaus in der Sophienstraße, und zwar unter der Führung des hannoverschen Stadtrichters Baldenius. Zur Feier des dritten wichtigen Ereignisses aus dem Jahre 1852 haben wir uns heute versammelt. Anlass zur Feier ist ein Geschehen, das wegen seiner Vorgeschichte und Begleiterscheinungen als einer der wichtigsten Merkpunkte in der Entwicklung der niedersächsischen, besser gesagt hannoverschen Rechtsgeschichte gewertet werden muss. Es ist die am 1. Oktober 1852 erfolgte Einrichtung des Amtsgerichts im Königreich Hannover. So entstand auch in der Haupt- und Residenzstadt am 1.10.1852 das Amtsgericht, das heute Volgersweg 1 im so genannten Neuen Justizgebäude seinen Sitz hat.
Ich begrüße alle zur Jubiläumsfeier Erschienenen auf das herzlichste, besonders unsere Ruheständler, die ein gutes Stück Weges mit unserem Amtsgericht gegangen sind, die Herren Vertreter von Landtag und Justizverwaltung, die Herren Vertreter aller jener Behörden, mit denen wir im täglichen Verkehr stehen und gemeinsam Aufgaben zu erfüllen haben und unter ihnen besonders die Herren Vertreter der Stadt und der Landkreise Hannover und Springe, aus deren Bereich das Amtsgericht erwachsen ist, die Herren Vertreter der übrigen Rechtspflegeorgane und der Berufsvereine, besonders auch die Herren Rechtsanwälte, unsere täglichen Gäste, die Presse und unsere Freunde und Nachbarn. Ich danke Ihnen allen namens des Amtsgerichts für ihr Erscheinen und danke besonders herzlich denen, die uns mit Grüßen und freundlichen Gaben bedacht haben.
Es möchte allerdings zunächst als etwas gesucht erscheinen, den Tag der Gründung des Amtsgerichts zu feiern. Denn es bedarf nicht erst der Feststellung, dass in den hannoverschen Landen und auch in Stadt und Amt Hannover schon viele hundert Jahre lang von Richtern Recht gesprochen wurde. Als das hiesige Amtsgericht entstand, hatte es schon seit Jahrhunderten in Hannover ein von den Ständen besetztes Hofgericht und ein vom Landesherrn besetzte Justizkanzlei mit im wesentlichen gleichen Funktionen als obere Gerichte gegeben. Es bestand ferner das Oberappellationsgericht in Celle, und bei der Stadt und bei den Ämtern gab es Untergerichte, bei den Gutsherrschaften Patrimonialgerichte, und auch Kirchspielsgerichte; alles in allem infolge der Standesvorrechte des Adels und der Stände eine verwirrende Organisation, die ich hier nicht darlegen kann. Die uns heute selbstverständliche Gleichheit vor dem Gesetz kannte man noch nicht. So gibt uns letzten Endes nicht die an sich unscheinbare Tatsache der Gründung des Amtsgerichts in Hannover ein Recht zur Feier. Deren eigentlicher Sinn liegt vielmehr in Begleitumständen und Zielsetzungen dieser Gründung, die allerdings ihren sichtbarsten Ausdruck eben in der Schaffung des hannoverschen Amtsgerichts oder genauer gesagt von 168 Amtsgerichten in den hannoverschen Landen fanden. Eigentlicher Kern des historischen Ereignisses ist der staatspolitische sowie staatsrechtliche Gedanke der Trennung der Rechtspflege von der Verwaltung, wie er sich, verbunden mit der gleichzeitigen Einführung moderner Gerichtsverfassungs- und Verfahrensgesetze mit Wirkung vom 1. Oktober 1852 an verwirklichte und gerade in der Schaffung der Amtsgerichte augenfällig wurde.
Es gab schon seit 1711, getrennt von den Verwaltungsbehörden, das Oberappellationsgericht in Celle als oberstes kurfürstlich hannoversches Gericht für bürgerliche und Kriminal-Rechtsstreitigkeiten. Schon damals, noch im Zeitalter des Absolutismus, hatte Kurfürst Georg von Hannover erkannt, was tiefster Sinn aller Rechtspflege ist. In seiner berühmten, man kann sagen klassischen Einleitung zur Oberappallationsgerichtsordnung von 1713, hatte er erklärt, dass das Gericht zwar an seiner Stelle und in seinem Namen, aber dem Recht gemäß zu prozedieren habe. Er wolle und seine Successores sollten das Gericht an gedachten Erkenntnissen nicht hindern, er wolle die vor das Gericht gehörigen Sachen nicht avocieren (an sich ziehen), sondern der Justiz ihren Lauf lassen. Um die Freiheit und Unparteilichkeit des Gerichts desto mehr zu sichern, erlasse er die Richter in allen Sachen, die den Landesherren betreffen oder ihn interessieren, der auf Beförderung und Respicierung des landesherrlichen Besten und Interesse geleisteten Pflichten und Verbindung, damit sie auch bei solchen Sachen wie überall bei der Administration ihres Amtes auf nichts als Gott und eine ganz unparteiische Justiz sehen sollen. Maßen denn ein vor alle Mal Unser Wille und Meinung ist, dass wir Unsererseits der Administration der Justiz stets in allem ihren ungehinderten Lauf lassen wollen. Gleich dem benachbarten und verwandten Preußen, in dem der Müller von Sanssouci seinem aufgeklärten König, der seine Mühle begehrte, auf sein unantastbares Recht mit den Worten verweisen konnte "Wenn nicht das Kammergericht in Berlin wäre", gibt es auch für Hannover eine Erzählung, die die Unabhängigkeit des Gerichts vom Monarchen kennzeichnet. Als Kurfürst Georg II den Präsidenten des Oberappellationsgerichts in Celle fragte, warum er, der Kurfürst, stets in Celle seine Prozesse verliere, durfte der Präsident es wagen zu antworten: "Weil Majestät gewöhnlich Unrecht haben". In innerem Zusammenhang mit dieser Idee von der Unabhängigkeit der Gerichte waren schon von jeher die Hofgerichte und die Justizkanzleien, die späteren so genannten Obergerichte und heutigen Landgerichte, teils erst- teils zweitinstanzliche Gerichte, von der inneren Verwaltung völlig getrennt.
Aber in der untersten Instanz, dort wo der kleine Mann sein Recht zu suchen hatte, waren im 18. und Anfang des 19. Jahrhunderts die hannoverschen Lande in der Rechtsentwicklung hinter den Nachbarstaaten stark zurückgeblieben. In der Unterinstanz lag die Rechtspflege in bürgerlichen und Polizeistrafsachen ungetrennt von der Verwaltung in den Händen der kurfürstlichen bzw. königlichen Ämter und der Patrimonialgerichte, d.h. der landesherrlichen und der gutsherrlichen und kirchlichen Verwaltungskörper. Berufungen gegen Strafurteile der Untergerichte gingen nicht an die Obergerichte, sondern an die Landdrosten, die heutigen Regierungspräsidenten, also an die Verwaltungsbehörde. Die Aufgabe der Ämter bestand zu allererst in der Verwaltung des landesherrlichen Dominalgutes. Ihr war die Rechtspflege nur zugesellt. Zwar gingen in Justizsachen die Berufungen in den Zivilsachen an die Obergerichte, die auch die Urteile in Kriminalsachen fällten. Aber die Zuständigkeit der Gerichte war in vielen wichtigen Justizsachen, so vor allem in der kleinen Kriminalität ganz ausgeschlossen und in den Händen der Ämter und der Landdrosten, also der Verwaltung, geblieben. In jeder Beziehung unterstanden die Ämter der Aufsicht der landesherrlichen Rentkammer, die Patrimonialgerichte unter der gutsherrlichen Verwaltung. Niemals in der Welt, so berichtet uns Ernst von Meyer, hat es eine weniger auf das Gesamtwohl, lediglich auf die eigene Bequemlichkeit bedachte Behörde gegeben als die Rentkammer. Sie wirtschaftete ohne festen Etat. Man suchte etwas darin, den Beamten schlossartige Räume zu verschaffen. Was hier verschwendet wurde, musste bei Gerichtsgebäuden und Gefängnissen gespart werten. Wir besitzen heute noch den Entwurf des Hofbaumeisters Körtige für ein prächtiges barockes Kanzleigebäude in Hannover aus dem Jahre 1748, das leider unausgeführt geblieben ist.
Jedem Amt stand zur Erledigung der Verwaltungs- und zugleich der Justizsachen der rechtsgelehrte adlige Drost oder Amtmann vor. Zur Seite hatte er einen meist rechtsgelehrten bürgerlichen Amtsschreiber. Als Arbeitshilfe und zur Ausbildung waren Auditoren angestellt, wir würden heute sagen Referendare, von denen die adeligen alsbald supernumerare Droste, die bürgerlichen supernumerare Amtsschreiber wurden. Verwaltung und Rechtsprechung lag bei den Ämtern in den Händen ein und derselben Amtspersonen. Immerhin bahnte sich unter dem Einfluss französischen Rechtsdenkens in der nachnapoleonischen Zeit eine allmähliche Reorganisation der Staatsbehörden nach freiheitlichen Grundsätzen an.
Die Hofgerichte, vor denen der kleine Mann nicht zugelassen war, waren schon 1803 verschwunden. Die Ämter wurden vergrößert, vor allem durch Zuwachs der sich allmählich auflösenden Patrimonialgerichte, deren Rechtsprechung nicht mehr genügt. Als die Geschäfte der Ämter mit dem Wachsen von Bevölkerung und Amtsaufgaben an Menge und Schwierigkeit beträchtlich zunahmen, erhielten die Ämter in der Regel einen zweiten Amtmann, der nur für die Rechtspflege verantwortlich wurde. Es wuchs aber auch die Zahl der Supernumerare und Auditoren. Damit war ein eigenartiger Missstand verknüpft. Viele der Amtmänner hatten früher selbst als Supernumerare lange und viel gearbeitet. Es erschien ihren nun angezeigt, die jungen Supernumerare für sich arbeiten zu lassen, vor allem, wenn ihre eigene Arbeitskraft abnahm. Die Regierung konnte bereitwillig Supernunerare zur Verfügung stellen und umso bereitwilliger, weil sie sich dadurch nicht nur die Einstellung neuer Amtmänner ersparte, sondern auch die Pensionierung der alten und schwachen - davon muss es eine beträchtliche Zahl gegeben haben - und damit die Zahlung von Gehältern und Pensionen. Sie erlegte zwar den Amtmännern die Pflicht auf, ihre Arbeitsgehilfen durch Gewährung von Wohnung, Kost und Geldgaben auf ihre Kosten zu unterstützen. Aber je leichter die Zuweisung der Supernumerare war, umso leichter war es den alten Amtmännern, sich vor der finanziellen Unterstützung ihrer Hilfskräfte zu drücken. Der größte Teil der Amtsgeschäfte wurde infolgedessen nicht mehr von den alterfahrenen Beamten, sondern von den jungen Supernumeraren und Auditoren erledigt. Bei denen machte sich nicht nur ein Mangel an Verwaltungserfahrung erheblich bemerkbar, sondern auch ein Nachlassen ihres Eifers. Nun sollten sie nicht für ihre eigene Ausbildung arbeiten, sondern dem Staat ohne ausreichende Besoldung ein Opfer bringen. Hand in Hand damit gingen häufige Versetzungen nicht nur der Supernumerare, sondern auch der Amtmänner, die in der Regel nur durch eine Versetzung auf einträglichere Stellen zu einer Besoldungsverbesserung gelangen konnten. Ihre Einnahmen bestanden nämlich aus den Sporteln, deretwegen die Amtmänner ihre Ämter pachten mussten.
Ein weiterer Mangel zeigte sich infolge der bei den Ämtern bestehenden Kollegialverfassung. Die Entscheidungen wurden nicht von demjenigen Amtmann, dem die Bearbeitung der Rechtssachen übertragen war, sondern von dem gesamten Kollegium der Amtmänner und ihrer Gehilfen gemeinsam gefällt, so dass man bei Stimmengleichheit den Fall sogar dem Nachbaramt unterbreiten musste. Damit war eine Schwächung des Verantwortungsgefühls und des persönlichen Interesses der einzelnen Beamten verknüpft, ohne dass es doch zu einer gründlicheren Bearbeitung durch das Kollegium gekommen wäre. Es kam sogar vor, dass Vater und Sohn demselben Kollegium angehörten. Alles das hatte eine Erschlaffung der Disziplin zur Folge. Man berichtet von Rücksichtslosigkeiten jüngerer Beamter, die an fortgesetztes Studentenleben erinnern, von Anmaßung und Verschwendung, von tadelnswertem Geschäftsleben. 1828 spricht die Justizkanzlei Hannover wegen arger Verzögerung von Rechtssachen und der sehr langsamen und unregelmäßigen Handhabung der Ziviljustizpflege dem Amt Hannover durch den Landdrosten ernstliches Missfallen aus und erteilt ihr einen strengen Verweis unter der Androhung härterer Maßnahmen. Schließlich klagte man darüber, dass in immer größerem Umfange Amtsgeschäfte und Einfluss auf die so genannten Vögte, die Amtsgehilfen und Vollstreckungsbeamten, übergingen. Die Vögte würden nahezu zu einer förmlichen neuen Instanz, mit der schriftlich verhandelt wurde, zu einer so genannten "Stubenregierung" der Amtsvögte, die ihre Macht aus Druck der Untertanen missbrauchten, nicht zuletzt durch Überhebung von Gebühren, die in die eigene Tasche flossen. Die Rechtspflege in den Ämtern litt auch, weil der erste Amtsbeamte in der Regel die Verwaltungsgeschäfte leitete, der zweite, auf geringere Einnahmen angewiesen, dagegen die richterlichen Geschäfte bearbeitete, diese somit nur als Durchgangsstation zu den besser bezahlten Verwaltungsämtern betrachtete, in die er denn einen für seine Verwaltungstätigkeit wieder zu schwerfälligen Formalismus mitgebracht habe. "Ein Pereat der Schlendrianokratie, ein Hurra dem Fürsten mit eigenem Willen" so begrüßte Minister von Schele 1837 den neuen König. Seit etwa 1837 kam es daher zu Reorganisationsplänen für die Ämterverfassung, deren Verbesserung durch die Trennung der Justiz von der Verwaltung der Ämter und durch ihre Übertragung auf Sonderbehörden der Verwaltung wie der der Gerichte erwartet wurde. Die Justizverwaltung war schon auf etwa 2/3 der Gesamtaufgaben der Ämter angewachsen und machte die Einrichtung eigener Gerichtsbehörden erforderlich. Die als notwendig erkannte Neuordnung unterblieb aber vorerst aus finanziellen und ständischen Erwägungen.
Allerdings war es in der Zwischenzeit in einzelnen Städten, die eine neue Stadtverfassung bekommen hatten, so in der Stadt Hannover 1824, doch schon zu einer gewissen Trennung der Justiz von der Verwaltung gekommen. Die Verwaltung lag in Hannover in den Händen des Magistrats, die Rechtsprechung in denen des Justizkollegiums mit dem Namen "Stadtgericht" unter der Leitung eines Stadtgerichtsdirektors. Die Stadtgerichtsräte wurden vom Ervorstehern vorgeschlagen und von dem Justiz-Magistrat und ü. g Departement ernannt. Immerhin traten in gewissen Fällen Magistrat und Stadtgericht zu einem Magistratskollegium zusammen. Ehe aber nun die Ämter reorganisiert werden konnten, musste es zu den revolutionären Wirren des Jahres 1848 kommen. Nun erst fand sich König Ernst August bereit, am 5.9.1848 eine den Erfordernissen der Zeit entsprechende liberale Novelle zur hannoverschen Verfassung von 1840 zu bewilligen. Nun war es nicht mehr die Sorge den Schlendrian, die Disziplinlosigkeit und die Gefährdung einer ordnungsgemäßen Verwaltungstätigkeit, sondern der revolutionäre Geist des erstarkenden Bürgertums, der die Entwicklung vorantrieb, und die Sorge um eine ordentliche Rechtspflege und Justizverwaltung. Im § 9 der Novelle wurde nun für das ganze Königreich die völlige Trennung der Justiz von der Verwaltung bei allen Behörden, also besonders auch bei den Ämtern, für die Zukunft vorgeschrieben. Aber der alte König, festgewurzelt in dem Gedanken des Patrimonialstaats, besorgt um die Würde des Königtums, zögerte, und erst am 8.11.1850 stimmte er unter dem Einfluss des liberalen Ministers Stüve einer ganzen Reihe von Gerichtsverfassungs- und Prozessordnungen zu, durch die die Partrimonialgerichte und die Vorrechte der Stände vor Gericht aufgehoben, die Trennung der Rechtspflege von der Verwaltung durchgeführt und eine Neuordnung der Gerichte angekündigt wurde. Laut einer Verordnung vom 7.8.1852 war sie zum 1. Oktober 1852 zu vollziehen.
Von diesem Tage an gab es in Hannover als ordentliche Gerichtsbehörden nur noch staatliche Gerichte, und zwar in der untersten Instanz 168 Amtsgerichte, in der Mittelinstanz 16 Obergerichte. Das hannoversche Stadtgericht wurde damit aus dem Bereich der Stadtverwaltung ausgegliedert. Es bezog am 1.10.1852 mit 1 Oberamtsrichter, 3 Amtsrichtern - darunter der eingangs genannte Baldenius - 1 Aktuaren, 4 Voigten als Amtsgericht für die Stadt Hannover, zunächst noch zusammen mit dem Amt, das Vorderhaus des ehemals von Reden'schen Palais in der Osterstraße 33, an dessen Stelle heute das Gebäude der Städtischen Betriebswerke steht. Hier hatte bis dahin die Justizkanzlei, das heutige Landgericht gehaust, das nun als Obergericht in das von Platen'sche Grundstück übersiedelte, wo heute die Landeszentralbank steht. Als zweites, zunächst noch selbständig bleibendes Amtsgericht, zog mit in das von Reden'sche Palais in den Registraturflügel das aus dem Amt Hannover, den größten Teil des heutigen Landkreises Hannover mit 3 Richtern. Schließlich entstand innerhalb des heutigen Amtsgerichtsbezirks aus dem Amt Langenhagen mit 1 Amtsgerichtsassessor ein Amtsgericht Langenhagen. Die beiden von Alten'schen Patrimonialgerichte in Hemmingen und Linden, die noch übrig geblieben waren, verschwanden.
Was sich hier in Gestalt der Einrichtung selbständiger, rein staatlicher Amtsgerichte vollzogen hatte, war über diesen äußerlichen Vorgang hinaus ein politisches, rechts- und geistesgeschichtliches Ereignis von höchster Bedeutung. Es ist nicht ohne Reiz, die eingangs erwähnten Ereignisse aus der Kulturgeschichte Hannovers als Parallele heranzuziehen. Das noch vom König geschaffene neue Opernhaus war dem Vergnügen der Einwohner, also nicht mehr der Aristrokratie gewidmet. Die Gründung des Provinzial-Museums aus der Mitte der Bürger kennzeichnet das eigenständig gewordene Bürgertum. Die unter dem Druck des liberalen Bürgertums erreichte neue Ordnung im Gebiet des Rechtswesens atmet den Geist heraufkommenden demokratischen Denkens. Der erste Markstein der 1848 eingeleiteten und am 1. Oktober 1852 erreichten Rechtsentwicklung war die völlige Trennung der Rechtspflege von der allgemeinen Staats- bzw. Stadtverwaltung. Die Rechtspflegeorgane, die erwachende Dritte Gewalt im Staate, hatte endlich ihren eigenen Behördenaufbau, ihre Eigenverwaltung erhalten, wie es ihrer Bedeutung im Staate entsprach. Auch bei den Amtsgerichten wirkte nun die Rechtspflege, ungehemmt durch andere Aufgaben und Rücksichten, in ihrem eigensten Bereich. Wenn zwar die hannoversche Verfassung im Gegensatz z.B. zur preußischen und zu der viel älteren hessischen, die Unabhängigkeit der Richter noch nicht ausdrücklich festgelegt hatte, so war doch das hannoversche Rechtswesen mindestens seit 1713 von dem Gedanken der Unabhängigkeit der Rechtsprechung vom Landesherrn beherrscht. Jetzt war die zwar im Zeitalter des Absolutismus verdunkelte, aber in Hannover niemals ganz erloschene altgermanische Anschauung, dass die Rechtsprechungsbehörden, also die Gerichte, unabhängig von der Staatsverwaltung zu sein haben, im Zusammenhang mit Gedanken konstitutioneller Staatsauffassung aus dem englischen Staatsrecht auf dem Umweg über französisches Staatsdenken nach Deutschland zurückgekehrt. Daher hatte auch schon die Verfassung von 1848 bestimmt, dass ein Richter ohne richterliche Erkenntnis weder abgesetzt noch wider seinen Willen versetzt oder suspendiert werden könne. Damit war jedenfalls praktisch, wenn auch nicht ausdrücklich, die persönliche und sachliche Unabhängigkeit der Richter Gesetz geworden.
Der zweite Markstein der Neuentwicklung lag in der Beseitigung des bevorzugten Gerichtsstandes der adligen Stände und der Kirche. Es gab, von ganz geringen Ausnahmen abgesehen, nur noch staatliche Gerichte. Der demokratische Gedanke der Gleichheit aller vor dem Gesetz war damit verwirklicht.
Ein dritter Markstein war die Bestimmung, dass die Amtsrichter vollverantwortlich als Einzelrichter entscheiden. Eine Verschiebung der Verantwortlichkeit, wie sie bisher bei den Ämtern möglich gewesen war, war nun ausgeschlossen. Damit war der volksnahe Richter für die Angelegenheiten des kleinen Mannes gewonnen, der nun mit seinem Richter von Mann zu Mann sprechen konnte.
Der vierte Markstein lag in der prozessgesetzlichen Einführung des mündlichen und öffentlichen unmittelbaren Verfahrens vor Gericht. Die Bürgerschaft konnte nun den Gerichtsverhandlungen zuhören und ihre Richter überwachen. Der Rechtsuchende konnte nun seine Anträge an den Richter bringen, ohne, wie bis dahin, sein Anliegen schriftlich dem Gericht vortragen zu müssen, das alsdann in schriftlichen Verfahren entschied. Damit war eine wesentliche Verkürzung der bis dahin oft endlosen Verfahrensdauer gewonnen. Die Zeugenvernehmungen erfolgten nur noch durch denjenigen Richter selbst, der den Streit zu entscheiden hatte, und nicht mehr nur durch einen Beauftragten des entscheidenden Kollegiums. Hier war man dem Vorbild vom französischen Prozessgericht mit ruhiger Bedächtigkeit unter Ablehnung seiner Übertreibungen gefolgt.
Ein fünfter Markstein war die Bestimmung, dass die Amtsgerichte zu ihren Strafverhandlungen zwei Schöffen hinzuzuziehen haben, die hiermit nach jahrhundert langer Unterbrechung erstmalig wieder in Deutschland herangezogen wurden.
Ein Sechster Markstein lag in der Neuordnung des Rechts der Anwälte, die nun in Anwaltskammern organisiert und von der Aufsicht der Gerichte befreit wurden und nicht mehr gleichzeitig ein Richteramt bekleiden durften; damit war die freie Advokatur gewonnen.
Mit diesen Neuerungen war verknüpft die Einführung der Staatsanwaltschaft, die infolge der Einrichtung eines modernen Anklageverfahrens notwendig geworden war und für die Obergerichte die Einführung der Schwurgerichte. Dazu kam schließlich die Einführung neuer Gerichtsgebührenordnungen.
Wir verdanken die Ausarbeitung und Durchführung dieser neuen Gesetze drei berühmten hannoverschen Juristen, die sich damit unvergängliche Verdienste erworben haben, den Justizministern von Düring und Windhorst und besonders dem Justizrat Leonhardt, dem letzten Justizminister. Wir haben nicht nur festzustellen, dass diese Neuregelungen einer bloß technischen Verbesserung der Verwaltung und der Rechtspflege dienen sollten, sondern sie stellen zugleich die notwendige Verwirklichung der sich damals in Deutschland anbahnenden neuzeitlichen, von freiheitlichem Denken bestimmten Verfassungsgesetzgebung auf dem Gebiet der Rechtspflege dar, und sie bedeuten einen Vorstoß in das Gebiet einer modernen Gerichts- und Verfahrensorganisation. Leonhardt konnte, als Hannover 1866 in den preußischen Staatsverband eingegliedert war, seine Schrift über die hannoversche Justizverwaltung voller Stolz mit den Worten beginnen, ein hochgestellter preußischer Staatsmann habe gesagt, in Bezug auf die Justizverwaltung werde Preußen wohl von Hannover annektiert werden. Die damalige preußische Justizverwaltung war nämlich noch recht rückständig und reformbedürftig geblieben. So ist dann auch die in Hannover zugleich mit den neuen Amtsgerichten eingeführte Gerichtsverfassungs- und Verfahrensgesetzgebung in maßgeblichen Punkten vorbildlich gewesen für die großen gesamtdeutschen Reichsjustizgesetze von 1877, in deren Geist wir noch heute an allen Gerichten arbeiten.
Wir dürfen uns daher als wahrhaft berechtigt betrachten, anlässlich des hundertjährigen Bestehens unseres hannoverschen Amtsgerichts eines rechtsverfassungsgeistigen und heimatgeschichtlichen Ereignisses größter Bedeutung feierlich zu gedenken.
Bis 1862 musste sich das Gericht mit dem Amt Hannover das Gebäude in der Osterstraße teilen. 1881 siedelte eine Anzahl von Abteilungen mit 8 Richtern in das Haus Leaförderstraße 11 hinter dem Landesmuseum über. 1882 bezog das Amtsgericht zusammen mit Landgericht und Staatsanwaltschaft das neu erbaute, nun völlig zerstörte so genannte Alte Justizgebäude am Raschplatz. 1900 musste es schon wieder große Teile auslagern in die ehemalige Tierärztliche Hochschule am Clevertor 2, wo heute das neue Arbeitsamt steht, und 1903 weitere Teile nach der Hallerstraße 47, An der Ecke Alte Cellerheerstraße, jetzt zerstört, konnte es 1911 die verlagerten Abteilungen in das Neue Justizgebäude Am Volgersweg zurücknehmen, das durch die bekannte Juristenlaufbahn über dem Volgersweg hinweg mit dem Alten Justizgebäude verbunden wurde. Als 1927 die städtischen Kaufmanns- und Gewerbegerichte den Amtsgerichten als Arbeitsgerichte angegliedert wurden, stellte die Stadt das alte Palais in der Leinstraße zur Verfügung. Seit 1926 benutzte das Amtsgericht sodann eine Anzahl von Räumen in dem benachbarten Lehrer-Seminar am Volgersweg. Pläne zum Ausbau des an der Alten Cellerheerstraße gelegenen Gefängnisgebäudes für Zwecke des Amtsgerichts scheiterten 1929 noch an den Kosten. Daher verlegte man Vormundschafts- und Jugendgericht in das III. Stockwerk des Anzeiger-Hochhauses an der Goseriede, bis es 1934 nach Errichtung der Pädagogischen Akademie gelang, das Seminargebäude für die Justizverwaltung ganz zu erwerben. Die ausgelagerten Abteilungen und das Amtsgericht zogen hier nun ein. 1943 wurden in das Seminargebäude Räume für Wochenendarrest an Jugendliche eingebaut. Als 1943 Seminar und Altes Justizgebäude mit allem Inventar und fast allen Akten und Registern und mit sämtlichen Strafsitzungssälen völlig zerstört wurde, verblieb dem Amtsgericht nur noch ein geringer Teil des Neuen Gebäudes. Es gab Räume und Inventar an die Staatsanwaltschaft ab und in dem Gebäude wirkten nun Landgericht, Staatsanwaltschaft, eine Anzahl ausgebombter Rechtsanwälte und seit 1945 das englische Militärgericht. Am 1.5.1945 war das Amtsgericht wieder voll arbeitsfähig.
Die nun einsetzende Notzeit ist allen, die sie mit durchgemacht haben, noch in schmerzlichster Erinnerung. Man kann sie dem, der sie nicht miterlebt hat, kaum veranschaulichen. Was damals, wie schon während des Bombenkrieges, bei stets wachsenden Aufgaben, bei entsetzlicher Kohlennot, bis zu 8 Grad Kälte in den Büros, bei dem Fehlen fast aller sächlichen Hilfsmittel, nach dem Zusammenbruch hatten auch noch umherziehende Ausländer das Gebäude geplündert - bei der sich immer mehr verknappenden Lebensmittelversorgung von allen Gliedern unseres Amtsgerichts, die als Ausgebombte oder als neu hinzugekommene- Heimatlose oft stundenlange Anmarschwege hatten, an stillem Duldertum und aufopferungsbereiter Arbeitswilligkeit und Diensttreue geleistet worden ist, gehört zu den wertvollsten Kapiteln in der Geschichte des deutschen Beamtentums, und wird kaum jemals wiederholt, geschweige denn überboten werden können.
Mit der Zunahme des Wiederaufbaues von Hannover und der Entwicklung des neues Landes Niedersachsen, mit der Erstarkung unseres Wirtschaftslebens wuchsen Aufgabenkreis und Personalbedarf des Amtsgerichts gewaltig an. Seit 1950 musste es wieder mit erheblichen Teilen auswandern: Neben den Räumen im Erdgeschoß, II. und III. Obergeschoß des Neuen Justizgebäudes arbeitet das Amtsgericht heute mit einer Abteilung im Gerichtsgefängnis, mit 4 Vormundschaftsabteilungen in der Theaterstraße, mit 2 Strafabteilungen in der Hohenzollernstraße und mit 3 doppelt besetzten Schöffengerichtsabteilungen im nun doch ausgebauten Gefängnisgebäude in der Alten Cellerheerstraße. Aber unsere Raumnot ist immer noch nicht behoben. Unsere Arbeitskräfte sind nicht nur in teils noch völlig unsozialer, sondern auch in einer den dienstlichen Notwendigkeiten ganz unzuträglichen Weise zusammengepfercht, so dass sie, wenn sie schwierige und verantwortungsvolle geistige Arbeit leisten oder überhaupt fertig werden wollen, die Nacht zu Hilfe nehmen und in ihre Wohnung gehen müssen, wo sie indes meist infolge der Wohnungsnot vom Regen in die Traufe kommen. Einige Zahlen mögen Aufgaben und Umfang des hiesigen Amtsgerichts verdeutlichen.
Am Amtsgericht arbeiten z. Zt. 456 Personen, von denen fast die Hälfte Ostflüchtlinge und Vertriebene sind. 21 Richter arbeiten im Zivilprozess, 4 in der Vollstreckung, 10 in der freiwilligen Gerichtsbarkeit, 19 in Strafsachen (bei 10 Schöffen- und 2 Jugendgerichten) und 2 in der Verwaltung. Wir haben täglich 5 bis 6 000 Briefeingänge, 2 900 Ausgänge über die Post und 350 bis 400 Stadtzustellungen. Im Jahre 1951 sind 104 000 Zahlungsbefehle und 5 800 Zivilprozesse einschließlich der Mietprozesse bearbeitet worden. Es ergingen 5 200 streitige Urteile und Prozessbeendigende Beschlüsse. 3 300 gerichtliche Vergleiche wurden geschlossen. 3 800 Strafanklagen gingen ein und es kam zu 5 800 Strafhauptverhandlungen, 20 000 in- und ausländische Rechtshilfeersuchen und Vernehmungsgeschäfte, 7 100 Strafbefehle, 22 000 Strafverfügungen wurden erledigt. 144 Grundstückszwangsversteigerungs-, 24 000 Vollstreckungssachen in das bewegliche Vermögen, 248 Konkurs- und 84 Vergleichsverfahren waren anhängig. In der freiwilligen Gerichtsbarkeit wurden erledigt über 2 000 Beurkundungen, 1900 sonstige Geschäfte der freiwilligen Gerichtsbarkeit einschließlich der Hausrats- und Wohnungsregelungen nach Ehescheidung, 7 200 Eintragungen in Handels-, Vereins- und dergleichen Register. Es liefen 19 000 Vormundschafts- und Familienrechtssachen. Es wurden erledigt 40 000 Grundbucheintragungen. Wir haben 42 000 laufende Grundakten und etwa 2 000 Grundbuchbände, die allein ein Gewicht von 20 bis 25 Tonnen haben. Täglich wandern 70 - 100 Bände, also über 1 Tonne, vom Keller nach oben und zurück. Zu den Aufgaben des Amtsgerichts gehören ferner die Erbrechts- und Nachlass-, Entmündigungs- und Landwirtschaftssachen, jährlich jetzt etwa 1 000 Todeserklärungen, Kirchenaustritts- und Personenstandssachen, die Antstaltsunterbringung Geisteskranker und Süchtiger, Reichsmarkumstellungssachen, die Hinterlegungsstelle, die Verwaltung der Urkunden ausgeschiedener Notare, eine Gerichtskasse mit allein 37 Arbeitskräften, eine Sammelstelle für Akten aus den verlorenen Ostgebieten und noch eine Fülle weiterer Geschäfte. Wie viel Arbeit und Last hat das Amtsgericht der Stadt und dem Landkreise in den 100 Jahren abgenommen! Wie viel Menschenschicksale, wie viel Streit und dessen Befriedigung, wie viel Sorgen um Rechtsnot des Einzelnen und Ordnung des Staates, wie viel Ringen um Gerechtigkeit stecken in diesen nüchternen Zahlen! Es werden vom Amtsgericht 65 Schiedsmänner und 15 Prozessagenten beaufsichtigt, und 282 Rechtsanwälte sind bei ihm zugelassen. Das Amtsgericht ist außer den Richtern besetzt mit 68 Beamten des gehobenen Dienstes, von denen 43 als Rechtspfleger ebenfalls richterliche Geschäfte erledigen, mit 80 Beamten des mittleren Dienstes, 26 Beamten des einfachen Dienstes, ferner mit 6 Justizvollstreckungsassistenten und nicht weniger als 34 Gerichtsvollziehern. Wir haben 169 Angestellte und 14 Helfer im Lohnverhältnis. Dazu kommen in wechselnder Zahl Referendare und Vermessungsreferendare, Anwärter für gehobenen und mittleren Dienst zu Ausbildungszwecken und die Gerichtsvollzieherschule für Niedersachsen und Schleswig-Holstein.
Bei dem Rückblick auf die verflossenen hundert Jahre amtsgerichtlicher Geschichte müssen wir zwei Fragenkreise völlig ausschalten, deren Beantwortung man erwarten möchte. Das Amtsgericht kann weder auf epochenmachende Einzelleistungen hinweisen noch einen Leistungsplan für die Zukunft aufstellen. Richterliche Tätigkeit vollzieht sich in der Stille. Noch nie hat die Nachwelt dem großen Richter Denkmäler gesetzt. Der Richter hat keinen Namen. Selbst wenn uns von dem weisen Richter König Salomon berichtet wird, so ist mit ihm keineswegs eine überraschend großartige Rechtsfindung verknüpft, sondern nur die kluge Ermittlung eines Sachverhalts durch richterliche Überlistung, wie sie keinem echten Richter zum Ruhme gereichen würde. Der "Erfolg"
der richterlichen Tätigkeit liegt immer nur im Finden von Recht und Gerechtigkeit, und das kann bei unscheinbarstem Rechtsfall schwieriger sein als bei großen Vorgängen von allgemeiner Bedeutung. Die Rechtsgeschichte und so auch die des Amtsgerichts weiß daher nicht von großen Taten einzelner Richter zu berichten; und ein Amtsgericht ist am wenigsten dazu geeignet, solche hervorzubringen. Die Kunst des Amtsrichters liegt im Verborgenen, in stiller, selbstvergessener Arbeit am Recht und an den Nöten des rechtsuchenden Volkes. Sein Vertrauen erworben und die nie voraussehbare Fülle des Arbeitsstoffes bewältigt zu haben, in allen Zweigen des mannigfaltigen Gerichtsdienstes bewandert zu bleiben, den in zunehmend verwirrender Fülle auftauchenden Gesetzesänderungen und -neuschöpfungen gewachsen zu sein, stets wachen Sinnes und warmen Herzens schnell und praktisch zuzugreifen, sich nie an den einzelnen Fall zu verlieren. und doch auch der kleinsten Aufgabe mit dem Ohr am pulsierenden Herzen des Volkes alle gebotene Hingabe zu widmen, macht den Dienst und die Leistung des Amtsrichters und zugleich den Reiz seines Wirkens aus. Der Richter soll das Recht finden und nicht es erzeugen. Neue Wege durch sein Arbeitsfeld zu weisen, neue Aufgaben zu suchen, Organisationsarbeit zu tun, bleibt dem Verwaltungsbeamten, dem Politiker, dem Unternehmer, dem Forscher, dem freien geistigen Beruf vorbehalten. Die Aufgaben des Richters werden an ihn heran getragen. Er kann sie niemals aufsuchen. Und so kann ich ihnen auch nichts von dem verheißen, was das Amtsgericht in seiner Zukunft dereinst leisten wird. Unser Amtsgericht möge auf weitere und friedliche 100 Jahre hinaus stets in allen seinen Gliedern bis zum letzten Lohnempfänger mit Männern und Frauen, insbesondere aber mit Richtern von gleicher Rechtlichkeit und innerer Freiheit, von gleichem Verantwortungsgefühl, von gleicher Arbeitskraft und Diensttreue besetzt sein, wie es ihm in den verflossenen hundert Jahren segensreichen Wirkens in gleichem Maße beschieden gewesen ist und wofür ich hier zu danken habe.
Ich will daher mit ihrem Namen auch nur diejenigen Männer nennen, die als Aufsichtsrichter an der Spitze des Gerichts gestanden und zusammen mit ihren Helfern in der Verwaltungsabteilung die Verantwortung dafür getragen haben, dass die Organisation des ganzen Arbeitsbereichs in steter guter Ordnung war. Erster Aufsichtsrichter war 1852 Oberamtsrichter Kern, der frühere Stadtgerichtsdirektor. Es folgten 1859 der Oberamtsrichter Schlüter, 1874 Dr. Siemens, 1878 Dr. Fiedeler. Dann verschwand der Titel des Oberamtsrichters. Aufsichtsrichter wurden 1880 AGR. Keitel, 1887 Cludius, 1888 Wachsmuth, 1889 Geh. Justizrat Ilsemann, 1899 - 1919 Geheimrat Siegel, dann verschwand auch der Titel des Geheimrats. 1919 wurde Aufsichtsrichter AGR. Böttcher, der 1924 der erste hiesige Amtsgerichtsdirektor wurde. 1935 folgte Amtsgerichtsdirektor Ranck, der 1943 der erste Präsident wurde. 1944/45 wurde die Personalunion mit dem Landgerichtspräsidenten eingeführt. Dem Amtsgericht standen vor bis 1945 der Landgerichtspräsident Laschke, bis 1947 Herr Landgerichtspräsident Dr. Eilts, der ständig durch Herrn Oberamtsrichter Stoltz vertreten wurde. Von 1947 bis 1949 war Amtsgerichtspräsident Herr Dr. Fontaine. 5 der ehemaligen Leiter leben noch, 4 weilen heute zu unserer Freude unter uns, an ihrer Spitze der 83-jährige Amtsgerichtsdirektor Paul Böttcher, vorbildlich in Diensttreue, geistesfrisch und noch heute mit dem jüngsten Amtsrichter eng verbunden.
An großen Ereignissen aus der Rechtsentwicklung, die das Amtsgericht in den verflossenen hundert Jahren unmittelbar berührt haben, sind hervorzuheben 1861 das allgemeine deutsche Handelsgesetz, 1869 das preußische Staatsgesetzbuch von 1851, 1871 das Reichsstrafgesetzbuch, 1872 das preußische Eigentumserwerbsgesetz, wonach Grundeigentum nur noch durch Grundbucheintragung nach erfolgter Auflassung übertragen werden konnte, und 1873 die Einführung des Grundbuchs anstelle der Hypothekenbücher, 1877 wurden die Reichsjustizgesetze eingeführt, die allen deutschen Gerichten eine einheitliche Verfassungs- und Prozessordnung nach dem alten hannoverschen Vorbild, allerdings in verbesserter und modernisierter Form brachten, wiederum unter der Führung Leonhardts. Diese Gesetze bereiteten einer hannoverschen Eigenart das Ende; sie befreiten nämlich die hannoverschen Gerichte von der Dienstaufsicht durch die Staatsanwaltschaft, die nun im Gerichtsverfassungsgesetz ausdrücklich untersagt wurde und das die Bestimmung brachte, die Richter sind unabhängig und nur dem Gesetz unterworfen. Damit war endlich der Schlussstein in den Auftau eines wahren Richterstandes eingefügt worden.
1900 wurde das BGB eingeführt, das in Hannover das alte römische Recht das corpus juris civilis ablöste. Nach dem 1. Weltkrieg kam es zur Einführung des gerichtlichen Vergleichsverfahrens für zahlungsunfähige aber sanierungsfähige Schuldner, zur neuen Erbbaurechts- und Siedlungsgesetzgebung, im Jahre 1921 begann die so genannte Kleine Justizreform, kraft derer die ehemaligen Gerichtsschreiber nun als Rechtspfleger in großem Umfange bisher richterliche Geschäfte selbständig und mit großem Erfolg nun auch erledigen durften. 1922 wurde das Gesetz für Jugendwohlfahrt eingeführt. Nach Beendigung der Inflation erlebten wir die Aufwertungsgesetzgebung, 1933 die landwirtschaftliche Schuldenregelung, die beide die Arbeitskraft der Gerichtsorganisation völlig zu sprengen drohten, die Anerben- und Vertragshilfegesetzgebung, 1924 die Emmingersche Strafprozessreform, die den Amtsgerichten die erweiterten Schöffengerichte brachten, deren Wiedereinführung nach ihrer Abschaffung durch den Nationalsozialismus jetzt bevorsteht, 1927 die Gründung der Arbeitsgerichte, 1947 die Einführung der Landwirtschaftsgerichte nach dem Muster des alten hannoverschen Höferechts, 1933 die unselige Erbgesundheitsgesetzgebung, mit deren Abwicklung wir noch befasst sind, 1923 und 43 neue Jugendgerichtsgesetze. 1945 die in ihrer Durchführung ganz verfehlte Entnazifizierung, deren Hauptmangel darin bestand, dass sie sich nicht in rechtsstaatlichen Formen vollzog, seit 1945 die Unterstellung unter Aufsicht und Gesetzgebung von Kontrollrat und Militärregierung, dann die unübersehbare Fülle der Todeserklärungen Verschollener, 1948 die Umstellungsgesetze nach der Währungsreform, 1949 endlich mit dem Bonner Grundgesetz die neue westdeutsche Bundesrepublik. Es war ein großer Tag, als am 7.9.1949 der Union-Jack auf dem Gerichtsgebäude eingeholt und statt seiner die schwarz-rot-goldene Bundesfahne aufgezogen wurde. 1943 wurde die Präsidialverfassung eingeführt, durch die unser Amtsgericht als einziges im niedersächsischen Raum, aus der Dienstaufsicht des Landgerichtspräsidenten herausgenommen und die Amtsrichter der Dienstaufsicht des Amtsgerichtspräsidenten unterstellt wurden. Aus ihr ergab sich 1949 die Einführung des aus 5 bestehenden Amtsgerichtspräsidiums.
Ein Wort noch über das Amtsgericht unter der unseligen Herrschaft des Nationalsozialismus. Es ist der nationalsozialistischen Gesetzesherrschaft natürlich unterworfen gewesen wie jede andere deutsche Behörde auch, und es wäre töricht, bestreiten zu wollen, dass ihm auch einige bewusste Nationalsozialisten und unruhige Männer angehört haben. Es darf aber nicht übersehen werden, dass der größte Teil der amtsgerichtlichen Arbeit vom nationalsozialistischen Einfluss bis zuletzt ohnehin völlig verschont geblieben ist. An der Spitze des Amtsgerichts haben rechtschaffene Männer wie der spätere Amtsgerichtspräsident Ranck gestanden, die es mit großem Geschick verstanden haben, das Schiff des Amtsgerichts auch in der Hochzeit des Nationalsozialismus ohne ernstliche Havarie durch das Meer des Unrechts zu steuern. Ich bezeuge, dass der Geist von Recht und Gerechtigkeit auch in den unglücklichsten Jahren unserer Rechtsgeschichte nicht aus dem Amtsgericht Hannover gewichen war. Das Vorbild der Besonnenen und Klardenkenden wie die unvergleichliche Erziehung unserer Beamtenschaft zu Gesetzestreue und Pflichterfüllung, in die auch unsere Angestelltenschaft stets bereitwillig hinein gewachsen ist, haben dahin gewirkt, dass an unserem Gericht das nur Menschenmögliche getan wurde, um bedrohte Menschenwürde und gefährdetes Recht zu wahren.
Wenn ich gesagt habe, dass das Gericht keine Pläne für die Zukunft aufstellen könne, so heißt das nicht, dass es nicht Zukunftswünsche und Zukunftssorgen hätte. Eine der nächstliegenden Sorgen ist begründet in dem immer noch unerträglichen Mangel an Raum, an Raumausstattung und Arbeitshilfsmitteln. Die Gerichte haben nun leider keinen eigenen Haushalt wie die Kommunalbehörden oder Post und Eisenbahn. Was die Staatsregierung uns bisher gewährt hat, war immer nur der Tropfen auf dem heißen Stein. Selbst der allmählich fortschreitende benachbarte Neubau eines Strafjustizgebäudes wird dem Amtsgericht kaum die Entlastung bringen, dass es seine ausgelagerten Abteilungen wieder an einer Stelle zusammenziehen kann. Mit einer wirksamen Auflockerung der bedrückenden Raumenge, unter der die Leistungsfähigkeit unserer Mitarbeiter wie die Güte unserer Arbeit in hohem Maße leidet, werden wir dagegen vorerst noch nicht rechnen können. Es sollte ernstestes Anliegen des Parlaments und der Justizverwaltung sein, endlich auf die Klagen derer zu hören, die täglich die Not am eigenen Leibe spüren, und der Behördenleiter, die sich für das Wohl ihrer Mitarbeiter und für das Gedeihen der Rechtspflege verantwortlich fühlen. Uns fehlt vor allem die im Ort gelegene Jugend- oder wenigstens die Freizeitarrestanstalt auf das Bitterste. Unsere Arbeitsräume, Sitzungssäle oder gar der Speiseraum der Justizbehörden im Amtsgericht sind durchweg noch in einem Zustand der Kläglichkeit, der der in ihnen schaffenden Menschen und der in ihnen sich vollziehenden hoheitlichen Aufgaben unwürdig ist. Noch heute haben wir Türen in Arbeitsräumen und Sitzungssälen aus rohem, ungestrichenem Holz. Nicht nur vor den Sitzungssälen, sondern auch in ihnen sieht es aus wie im Bahnhofsbunker vor der Währungsreform, wie neulich eine hannoversche Zeitung auch schrieb. Ich kann es als Gerichtsvorstand auch nicht bestreiten, dass die Fensterscheiben des Gerichtsgebäudes viel öfter geputzt werden müssten. Aber zur Rettung der Ehre unserer Reinigungsfrauen mochte ich doch betonen, dass die Reinigung unseres Hauptgebäudes der amtsgerichtlichen Verwaltung entzogen ist, sie untersteht dem Landgericht als Hausherrn, und zu seiner Ehrenrettung ist zu sagen, dass leider auch ihm nicht die Mittel zur Verfügung stehen, mehr als Jährlich ein- bis zweimal die Fenster putzen zu lassen. Es sind immerhin etwa 800 mit 20 bis 22 000 Fensterscheiben. So fehlen uns an allen Ecken und Enden die Mittel. Unsere Handbücherei, unentbehrlichstes Rüstzeug für Richter und Rechtspfleger, ist ein Opfer des Bombenkrieges oder durch die Gesetzgebungsmaschine zur Makulatur geworden. Neue Bücher sind so teuer und unser Büchereifonds ist so gering, dass wir bei weitem nicht das auch bei bescheidensten Ansprüchen Nötigste beschaffen können. 56 unserer 160 Schreibmaschinen sind 26 bis 45 Jahre alt. Ein Zeichen für die berühmte Sparsamkeit der Justizverwaltung. 15 Maschinen davon gehören uns überhaupt noch nicht. Unser Maschinenpark besteht weiterhin bei täglich etwa 3500 ein- und ausgehenden Briefen aus einer Frankiermaschine, einem Verfielfältigungsapparat, bei monatlich 1.60 Millionen DM Umsatz in der Kasse aus 2 Buchungsrechenmaschinen, ferner aus 4 Spezialschreibmaschinen für Grundbuch und Handelsregister, aus einem praktisch unbrauchbaren Personenaufzug, aus einem leidlich brauchbaren Grundbuchaufzug und einigen völlig unbenutzbaren Aktenaufzügen, so dass unsere Wachtmeister die Akten durch 4 Stockwerke und 2 km Flure entlang treppauf-treppab tragen müssen. Wir haben keine Aktenheftmaschine, keine Fenstervorhänge, keine Bohrmaschine, keimen Staubsauger trotz zigtausend verstaubter offener Aktenfächer, keine Aktenschränke, keinen Aktenwagen, für den Aktenverkehr mit dem 4 Zweigstellen, nur vereinzelt Garderobenschränke - unser Personal hängt meistens die Mäntel und Richterroben an die Aktenregale oder an die Türen oder einem Nagel an der Wand ; wir haben nur für je 2 Personen ein Handtuch und - keinen Kraftwagen. Wir haben keinen Repräsentationsfonds, keinen Fonds für Betriebsfeiern und was schlimmer ist, keinen Unterstützungsgroschen. Wir haben kein Bild an den Wänden, sondern nur die nackten Putten auf dem Treppengeländer, über deren Vereinbarkeit mit der Würde des Ortes intra et extra muros viel gegrübelt wird. Wir haben, und das ist viel ernster, gibt immer wieder zu klagen über völlige Überlastung unserer Arbeitskräfte, deren Gesundheitszustand zum Teil sehr schlecht ist und für die selbst im Fall längerer Erkrankung längst nicht immer Vertreter gestellt werden. Hier kündigt sich das schwere Nachwuchsproblem an. Denn wo liegen noch die Reize eines Dienstes, der völliges Sichaufreiben bei mangelhaftester Besoldung, ständiges Kritisiertwerden und nahezu völligem Mangel an Anerkennung und Dankbarkeitsäußerungen bedeutet?
Unsere ernsteste Sorge liegt auf einem anderen Gebiet, und damit stehe ich vor der Frage nach dem Eigentlichen des Sinns unserer heutigen Feier. Wir haben uns heute mehr und mehr vom bloßen Historismus abgewandt und stellen die existenzielle Frage. Wir würden der Bedeutung dieser Stunde nicht gerecht werden, wenn wir nur den Gang einer hundertjährigen Entwicklung schildern, unsere Wünsche und Nöte aufzählen und darüber die Frage nach der eigentlichen Bedeutung unseres heutigen Tuns für unsere Seinsordnung vernachlässigen würden. Ich sagte schon, dass das Eigentliche des Ereignisses vom 1.10.1952 die mit der Begründung der Amtsgerichte sich vollziehende Trennung der Rechtspflege von der Verwaltung und die mit ihr verknüpfte Neuordnung der Rechtspflege nach freiheitlichen Gesichtspunkten ist. Ich hatte ferner festgestellt, dass diese Verselbständigung der Justiz sich endgültig erst 1877 mit der Einführung der Reichsjustizgesetze auch in Hannover vollzogen habe. Erst von diesem Zeitpunkt an, mit dem die Schaffung einer Verwaltungsgerichtsbarkeit einher ging, datiert bei uns die Bildung des Rechtsstaats im modernen Sinne. Ich habe mich nahezu erschrocken, als ich mir bei der Vorbereitung dieser Feier darüber klar wurde, wie spät es in unserer Geschichte überhaupt erst zu einem wahren Rechtsstaat gekommen und von wie kurzer Dauer er geblieben ist. 1933 war er uns ja schon wieder verloren gegangen. Nach 1945 haben wir ihn allmählich mühsam wieder aufzubauen versucht. Dürfen wir glauben, dass uns das schon gelungen sei, und dürfen wir hoffen, dass das neue Werk bestehen werde?
Ganz unzweifelhaft haben Bonner Grundgesetz und niedersächsische Verfassung, indem sie die Gesetzgebung an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung an Gesetz und Recht binden, den echten demokratischen Rechtsstaat formuliert. Es gilt der Grundsatz der Gewaltentrennung, nach dem die 3 Staatsgewalten sich gegenseitig zur Verhinderung von Machtmissbrauch kontrollieren, sich zur Schonung der Einzelpersönlichkeit vor Entwürdigung und Unterdrückung seitens der Obrigkeit gegenseitig hemmen sollen. Der soziale Rechtsstaat, dessen Sinn darin besteht, dass die gesamte Staatstätigkeit von der Idee des Rechts beherrscht sei, fordert eine Rechtsprechende, d.h. über das Recht wachende Gewalt, und zwar eine solche, die eine der Gesetzgebung und der Exekutive gleichgeordnete Staatsgewalt ausübt. Dazu bedarf sie einer nicht nur formalen Unabhängigkeit der Richter, nicht nur einer bloßen Verneinung irgendwelcher an ihn gerichteter Anweisungen. Diese Unabhängigkeit muss vielmehr auch der Ausdruck einer inneren Freiheit der Richter sein. Einschränkungen der richterlichen Weisungsfreiheit, die der am frühesten verwirklicht gewesene Teil der Unabhängigkeit war, sind von unserer gegenwärtigen Obrigkeit gewiss nicht zu befürchten, wenngleich uns der Schrecken volksdemokratischer so genannter Rechtsprechung in unserer nahen Nachbarschaft bedroht und uns der Schrecken des "obersten Richtertums", des "großen Führers" noch in den Knochen sitzt. Auch die formale Unabhängigkeit der Richter ist in Gestalt der persönlichen Unabsetz- und Unversetzbarkeit wenigstens in der Bundesverfassung gewährleistet und auch für die hauptamtlich und planmäßig endgültig angestellten Richter, mindestens der bürgerlichen Gerichtsbarkeit verwirklicht. Offen bleibt aber bekanntlich schon die ernste Frage, ob das auch der Fall ist bei der Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichtsbarkeit. Zu verneinen ist dies bereits für die Richter der Arbeitsgerichtsbarkeit. Nur mit größter Bangigkeit stehen wir aber vor der Frage, wie es mit der inneren Freiheit unseres Richtertums bestellt sei. Sie zu erzielen und zu erhalten ist das selbstverständliche Gebot innerer Haltung unserer Richterschaft, sie ist unser Berufsethos, und sie ist das selbstverständliche Erfordernis einer sorgfältigen Bildung und Erziehung unseres Nachwuchses. Doch damit ist es nicht getan. Nimmt man dem Richter wie auch seiner Mitarbeiterschaft die Luft zum atmen, überbürdet man ihn mit Arbeit und Verantwortung, die er nicht mehr bewältigen kann, entzieht man ihm durch mangelhafte Besoldung den nötigsten Lebensraum, hungert man ihn geistig durch Verarmung aus, dann ist es vorbei mit seiner inneren Freiheit. Es ist für alle, die der dritten Gewalt angehören, ein Gegenstand ernstester Sorge, dass immer noch einem erheblichen Teil unserer Richterschaft seine endgültige Anstellung, die formale Voraussetzung ihrer persönlichen Unabhängigkeit, vorenthalten wird. Von den 57 z. Zt. am Amtsgericht in Hannover tätigen Richtern sind nur 37 fest angestellt. 20, also nahezu 1/3, unter ihnen meist Flüchtlinge und Verdrängte, also gänzlich Verarmte, Heimatlose und zum Teil noch Wohnungslose, sind Hilfsrichter mit jederzeit widerruflichem Auftrag. (Übrigens steht es mit den Beamten des mittleren und unteren Dienstes und vielen Angestellten keineswegs besser). Es bedeutet eine die menschliche Lebenskraft übersteigende Anforderung an diese Richter und ebenso natürlich an unsere Beamten, dass sie sich bei allen ihren Zukunftssorgen um ihr eigenes und ihrer Familie Schicksal diejenige innere Freiheit bewahren sollen, die die Existenz des echten Richters wie auch des Beamten überhaupt ist. Die gewählten Repräsentanten des Volkes in Parlament und Regierung sollten endlich einmal vollziehen, was die Bundesverfassung verheißen und gerade die niedersächsische Verfassung in Art. 39 Abs. 2 deutlich genug formuliert hat. "Hinter der dritten Gewalt", so sagt Werner Weber, der Staatsrechtler unserer Landesuniversität, "steht ein konkretes deutsches Richtertum, das inmitten aller Auflösung der Ordnungen in unserem Volke noch eine gewisse ständische Geschlossenheit und das Bewusstsein einer eigenständigen Aufgabe bewahrt hat. Die Unabhängigkeit der deutschen Rechtspflege ist keine bloße Illusion. Aber die Substanz dieser ständischen Geschlossenheit des Richtertums beruht nur auf den hier noch geretteten Tugenden und Elitevorstellungen der deutschen Beamtentradition. Wie lange das noch standhalten wird, ist eine offene Frage. Die Ereignisse zeigen deutlich genug, dass man die ständische Geschlossenheit der Justiz gerade nicht als Erfüllung des Gewaltenteilungsgedankens dankbar aufnimmt und weiter hegt, sondern dass man ihr mit Misstrauen begegnet und sie im Prinzip negiert. Die Politisierung der Richterpersonalpolitik nimmt der Richterbestellung den Charakter der ständischen Kooptation. "Es zeige sich", sagt Weber, "ein allgemeines Abhängigwerden der personalpolitischen Entscheidungen von parteipolitischen Rücksichten, so in einer rein politischen Wahl der Mitglieder des Bundesverfassungsgerichts, ein parlamentarisch beeinflusstes Richterwahlverfahren, dem Richteranklageverfahren, und es zeige sich schließlich in der heute verbreiteten Umgebung der festen Richteranstellung durch Beschäftigung bloß beauftragter Richter in unsicherer Lage."
Was vor 100 Jahren mit der Gründung der Amtsgerichte verheißungsvoll begann, und was wir heute feiern, die Schaffung einer freiheitlich empfundenen und gegründeten selbständigen Gerichtsbarkeit, was von Nationalsozialismus dann zerschlagen wurde, muss nun endlich wieder entstehen in einem wahrhaft unabhängigen Richterstand.